Jenseits des Hypes: Fünf überraschende Wahrheiten über KI in Unternehmen, die Sie 2026 kennen müssen

Führungskräfte stehen heute vor einem strategischen Dilemma: Der Druck, Künstliche Intelligenz einzuführen, ist enorm, doch der Markt ist geprägt von widersprüchlichen Schlagworten und komplexen Technologien. Die Verwirrung darüber, ob ein Standard-Tool, ein autonomes Agenten-System oder eine vollständige Eigenentwicklung die richtige architektonische Lösung ist, führt zu Fehlinvestitionen und strategischer Unsicherheit.

 

Der Erfolg einer KI-Implementierung hängt jedoch nicht von der Wahl des „intelligentesten“ Modells ab. Er wird durch strategische Entscheidungen bestimmt, die Kosten, Kontrolle, Sicherheit und Zukunftsfähigkeit in den Mittelpunkt stellen. Es geht darum, welche Architektur den maximalen Geschäftswert bei minimalem Risiko generiert und eine langfristige Verteidigungsfähigkeit sichert.

Dieser Artikel durchbricht den Hype und stellt fünf der überraschendsten und wirkungsvollsten Erkenntnisse aus der Praxis vor. Sie sollen Klarheit schaffen und Ihnen eine fundierte Grundlage für Ihre strategischen KI-Entscheidungen im Jahr 2025 geben.

 

Fakt 1: Das „Make-or-Buy“-Dilemma ist irreführend

Die strategische Entscheidung über die Einführung von KI wird oft fälschlicherweise auf die Frage „Kaufen oder Bauen?“ reduziert. Die pragmatischste und erfolgreichste Lösung für die meisten Unternehmen liegt jedoch weder im reinen Kauf einer Standardlösung („Buy“) noch in der kompletten Eigenentwicklung („Make“). Der strategisch überlegene Weg ist ein hybrider Ansatz.

Dieser Mittelweg kombiniert das Beste aus beiden Welten: die schnelle Time-to-Value von Standardlösungen mit der Differenzierung und Kontrolle von Eigenentwicklungen. Das Konzept lässt sich in einer einfachen Formel zusammenfassen: „Buy the Core, Make the Difference“. Unternehmen nutzen eine bewährte, skalierbare Standardplattform als technisches Fundament, etwa ein erprobtes Chatbot-Framework oder eine Backend Plattform und entwickeln darauf aufbauend individuelle, wettbewerbskritische Funktionen selbst. Dazu zählen beispielsweise massgeschneiderte Analytics-Dashboards oder unternehmensspezifische Workflows, die einen echten Wettbewerbsvorteil schaffen.

Dieser Ansatz balanciert Kosten, Risiko und Zukunftsfähigkeit optimal aus und stellt eine strategische Abwägung zwischen schneller Implementierung und langfristiger Verteidigungsfähigkeit dar.

 

Fakt 2: Ihre grössten KI-Kosten sind nicht die Lizenzen, sondern die Governance

Eine der grössten Fehleinschätzungen bei der KI-Einführung betrifft die Kosten. Die sichtbaren Lizenzgebühren sind nur die Spitze des Eisbergs. Die überraschende Wahrheit ist, dass die Kosten für Governance, einschliesslich zentraler Kontrolle, Risikomanagement und DSGVO-Compliance, die reinen Lizenzkosten um das 3,5-fache übersteigen können.

Dieser Umstand führt zu einem Paradoxon: Der anfänglich günstigere „Buy“-Ansatz kann sich über einen längeren Zeitraum als deutlich teurer erweisen als eine Eigenentwicklung. Die laufenden Kosten für Standardsoftware eskalieren durch mehrere Faktoren: Jährliche Lizenzgebührenerhöhungen von durchschnittlich 8-12 %, Supportverträge, die 20-25 % der Lizenzkosten pro Jahr ausmachen, und teure API-Integrationen, die zwischen 15.000 und 100.000 CHF kosten können. Eine 5-Jahres-TCO-Analyse (Total Cost of Ownership) verdeutlicht dies:

 Ohne eine solide Governance-Struktur drohen insbesondere Projekte mit autonomen Agenten zu scheitern, da ihre Kosten explodieren und der Geschäftswert unklar bleibt. Diese Gefahr wird durch eine Prognose von Gartner unterstrichen, die sich speziell auf unkontrollierte Projekte mit agentengestützter KI bezieht:

 

Gartner prognostiziert, dass „über 40 % der Projekte mit agentengestützter KI bis Ende 2027 aufgrund steigender Kosten und unklaren Geschäftswerts eingestellt werden“.

  

Fakt 3: Vergessen Sie das Training einer KI mit Ihren Daten. Nutzen Sie stattdessen RAG.

Ein weit verbreitetes Missverständnis ist, dass Unternehmen ein KI-Modell aufwändig mit ihren eigenen Daten „trainieren“ (Fine-Tuning) müssen, um es für spezifische Aufgaben nutzbar zu machen. Für die meisten Unternehmensanwendungen gibt es jedoch eine strategisch überlegene Architektur: Retrieval-Augmented Generation (RAG).

Das RAG-Konzept ist einfach und wirkungsvoll: Anstatt das KI-Modell selbst zu verändern, wird ihm der Zugriff auf eine sichere, interne Wissensdatenbank gewährt. Wenn eine Anfrage gestellt wird, ruft das System zuerst die relevanten Informationen aus dieser Datenbank ab und übergibt sie dann zusammen mit der Anfrage an die KI, um eine fundierte und kontextbezogene Antwort zu generieren.

Um das Finetuning zu reduzieren und die Qualität der Antworten zu erhöhen ist es von eminenter Wichtigkeit, dass die Daten gemäss ihrer Struktur verwendet werden. Gesetzesartikel bspw. sollte immer pro Artikel indexiert werden, nur so können verbindliche und korrekte Antworten generiert werden.

 

Für Unternehmen bietet RAG drei entscheidende Vorteile gegenüber dem Fine-Tuning:

  1. Datensicherheit und Datenschutz Die Unternehmensdaten verbleiben in der gesicherten internen Umgebung und werden nicht in die Modellgewichte „eingebacken“. Dies minimiert das Risiko von Datenlecks und gibt dem Unternehmen die volle Kontrolle, da sensible Informationen nie den eigenen Sicherheitsbereich verlassen.

  2. Aktualität RAG ermöglicht den Zugriff auf Echtzeit-Informationen aus internen Systemen. Dies ist für Anwendungsfälle wie Bestandsabfragen oder technischen Support auf Basis des neuesten Handbuchs unerlässlich, Aufgaben, die ein feinabgestimmtes Modell ohne kostspieliges und zeitaufwändiges Neutraining nicht bewältigen kann.

  3. Compliance-Sicherheit Regulatorische Anforderungen wie das in der DSGVO verankerte „Recht auf Vergessenwerden“ sind mit RAG deutlich einfacher umzusetzen. Informationen können gezielt in der Quelldatenbank gelöscht werden, ohne dass das gesamte, teuer trainierte KI-Modell neu aufgesetzt werden muss.

 

 

Fakt 4: Der wahre Game-Changer ist nicht der Assistent, sondern der autonome Agent

Während KI-Assistenten bereits heute die individuelle Produktivität steigern, liegt der wahre strategische Wandel in der nächsten Evolutionsstufe: den autonomen KI-Agenten. Der Unterschied ist fundamental, es ist der Übergang von der Steigerung der individuellen Produktivität zur Ermöglichung der autonomen Prozessautomatisierung.

KI-Assistenten sind reaktiv; sie sind ein Werkzeug, das Sie benutzen. Sie agieren auf direkte Anfragen eines Nutzers, indem sie beispielsweise einen Text zusammenfassen. KI-Agenten und Multi-Agenten-Systeme sind hingegen proaktiv; sie sind ein Teammitglied, das für Sie arbeitet. Sie agieren autonom auf ein vordefiniertes Geschäftsziel hin, ohne dass jeder Schritt von einem Menschen angeleitet werden muss.

Ein Agent kann eine komplexe Aufgabe in logische Unterschritte zerlegen, externe Werkzeuge wie APIs nutzen und seine Strategie basierend auf Ergebnissen anpassen. Ein anschauliches Beispiel aus der Pharmalogistik zeigt die Leistungsfähigkeit: Bei einer Transportstörung kann ein Multi-Agenten-System autonom handeln. Ein Agent überwacht die Temperatur, ein zweiter prognostiziert die Nachfrage am Zielort, und ein dritter leitet die Fracht bei Bedarf automatisch um und benachrichtigt alle Stakeholder. Dies ist keine assistierte Produktivität mehr, sondern resiliente, autonome Prozesssteuerung.

 

Fakt 5: Ihre KI ist nur so sicher wie Ihre Dateiberechtigungen

Die grösste Sicherheitslücke bei der Einführung von KI ist oft nicht die Technologie selbst, sondern ein bereits existierendes internes Problem: unsaubere und überbordende Berechtigungsstrukturen. KI-Systeme, insbesondere unternehmensweit integrierte Assistenten, agieren wie ein Verstärker für bestehende Schwachstellen in der Daten-Governance.

Probleme wie „Permission Bloat“ – unkontrolliert wuchernde Zugriffsrechte – werden durch KI potenziert. Ein Assistent, der Zugriff auf das gesamte Netzwerk hat, kann sensible Informationen aus ungesicherten Ordnern ziehen und sie einem unbefugten Mitarbeiter zugänglich machen, der nur eine einfache Frage gestellt hat. Die Dringlichkeit dieses Themas wird durch eine alarmierende Statistik untermauert: 60 % der Mitarbeiter bereinigen ihre Zugriffsrechte auf Dokumente nach Projektende nicht.

Die Schlussfolgerung ist klar: Die Vorbereitung auf KI-Sicherheit ist primär eine Frage der internen Datenhygiene. Bevor Sie eine KI im grossen Stil einführen, müssen Sie Ihre Daten-Governance in den Griff bekommen. Eine saubere Berechtigungsstruktur ist die Grundvoraussetzung für einen sicheren KI-Einsatz.

 

Fazit: Strategie schlägt Technologie

Eine erfolgreiche KI-Einführung hängt weniger von der Wahl des neuesten Modells ab, sondern von einer klugen, vorausschauenden Strategie. Der Weg zum Scheitern ist gepflastert mit scheinbar einfachen „Buy“-Entscheidungen (Fakt 1), die die explodierenden Governance-Kosten ignorieren (Fakt 2). Dieses Problem wird durch fehlende architektonische Weitsicht verschärft, etwa durch die Wahl eines teuren Fine-Tunings anstelle eines sicheren RAG-Ansatzes (Fakt 3). Unkontrollierte interne Dateiberechtigungen (Fakt 5) verwandeln dann leistungsstarke autonome Agenten (Fakt 4) von einem strategischen Vorteil in ein unkalkulierbares Risiko. Wer den Hype ignoriert und sich stattdessen auf diese vernetzten strategischen Grundlagen konzentriert, wird die Potenziale der KI wirklich heben.

Nachdem Sie nun über den Hype hinausblicken: Welchen dieser strategischen blinden Flecken werden Sie in Ihrer Organisation als Erstes angehen?


-Autor: Jörg Bieri 16.12.2025

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